KRISTINA FIAND

Das Dorf im Knüll, in dem die Künstlerin Kristina Fiand lebt, hatte, als sie mit der Bildhauerei begann, noch einen blaugelben Edeka. Wie schön – und inzwischen gar nicht mehr selbstverständlich. Er ist Austauschort dörflicher Kommunikation, Ziel der Kinder für ein sommerliches Eis, aber auch „erste Hilfe“-Station, wenn das Backpulver für den Kuchen aus ist, die örtliche Zeitung zudem, denn man erfährt, wer nachts gestorben ist bzw. entbunden hat.
Die Frauen mit ihren unterschiedlichen Outfits, Frisuren und Gesichtsausdrücken haben die Künstlerin Kristina Fiand zutiefst gereizt, genauer hinzusehen. Kein Voyeurismus, vielmehr die Symbiose aus Lust am Unterschied und der Gemeinsamkeit ließ das Projekt „100 Edekafrauen“ entstehen. Mit klassischen Bildhauerwerkzeugen bearbeitet Kristina Fiand das Lindenholz, schließt natürliche „Hindernisse“ wie Äste und Risse mit ein und gibt jeder einzelnen Figur ein unverwechselbares Kolorit. Jede ein Unikat, mit eigenem Charakter. Die Zahl Hundert war schnell erreicht, aber der dörfliche Fundus, der an eine Theaterbühne erinnern mag, noch lange nicht erschöpft.
Und darin liegt wohl der große Erfolg der Damen, die in der Ausstellung in der Galerie Kunststücke ab Nummer 1283 zu bewundern sind. In der Begrenzung auf einen Lindenblock, zwei Beine, die diesem Sockel ohne Füße erwachsen, zelebriert Fiand nicht endlos einen Stereotyp, wandelt vielmehr mit grenzenloser Phantasie, mit glucksender Freude an Formen, Farben, Details und Accessoires an fünfzig Höhenzentimetern Lindenholz ein Thema immer wieder mit größter bildhauerischer Lust so ab, dass es nie spröde, nie langweilig wird. Dabei glänzt sie mit Zitaten in der reichen Welt der Werbung, des Productplacements, der Symbole, Piktogramme oder der Vielfalt von Werbelogos. Auch politische Aussagen kommen vor. Das Salz in der künstlerischen Finesse von Fiand ist die Ausgereiftheit der Gesichter ihrer Skulpturen. Mimik schlägt Gestik, die zwar auch besticht – doch es ist die blanke Freude, so einer Gruppe „Edekas“ ins Antlitz zu sehen. Mit wenigen, dann wieder vielen Schnitten in die weiche Linde, haucht Fiand ihren Damen Authentizität ein, so, als sollten sie – pinocchiogleich – zum Leben erwachen und losstapfen, wären sie nicht mit diesem vermaledeiten Holzblock verwachsen.
Die Protagonistinnen des dörflichen Einkaufseldorados schmollen, lächeln, verführen, platzen vor Wut, sind in sich gekehrt, kaufsüchtig, realistisch, sehr realistisch, lebensfroh, manchmal auch müde, oft voller Energie. Nix, was es nicht gäbe. Manchmal dörflich geprägt, manchmal mondän-stadtgleich. Und das alles durch das Können Fiands, unterschiedlich zu schöpfen – in diesem Fall mit dem Schnitzmesser Leben zu verteilen, ebenso unterschiedlich, wie wir als Menschen sind. Fiands Edekafrauen sind nicht nach Schema F gearbeitet, sondern leben vom liebevollen Draufblick der Bildhauerin. Von der Leichtigkeit und Freude, die die Künstlerin vom ersten Blick auf den Dorfladen bis zur letzten Schnitzbewegung und der „Schlussfirnis“ beim Bemalen der in der Regel 53 cm großen Kostbarkeiten hinüberrettet.
(Text frei nach: Michael Marius Marks)


Aktuell suchen einige wenige Edekafrauen ein neues Zuhause!